Hl. Messe auf der Ebene von Marienfeld, Köln
Predigt von Papst Benedikt XVI.
Sonntag, 21. August 2005
Am Beginn der Eucharistiefeier sagte Papst Benedikt XVI. die folgenden improvisierten Worte:
Lieber Herr Kardinal Meisner,
liebe junge Freunde!
Ich möchte Dir, lieber Mitbruder im Bischofsamt, ganz herzlich danken für diese bewegenden Worte, die uns so richtig in diesen Gottesdienst hineinführen. Ich wäre ja gerne mit dem Papamobil kreuz und quer durch das ganze Gelände gefahren, um möglichst jedem einzelnen nahe zu sein. Wegen der Schwierigkeit der Wege ging das nicht, aber ich grüsse jeden einzelnen von ganzem Herzen. Der Herr sieht jeden einzelnen und liebt ihn, und wir alle sind miteinander lebendige Kirche und danken dem Herrn für diese Stunde, wo er uns das Geheimnis seiner Gegenwart und die Kommunion mit ihm selber schenkt.
Wir wissen alle, dass wir unvollkommen sind, dass wir eigentlich keine geeignete Wohnstätte für ihn sein können. Deswegen beginnen wir die heilige Messe damit, dass wir uns besinnen und dass wir ihn bitten, dass er von uns nimmt, was uns von Ihm und was uns voneinander trennt und uns so schenkt, die heiligen Geheimnisse recht zu begehen.
Liebe Jugendliche!
Vor der heiligen Hostie, in der Jesus sich für uns zum Brot gemacht hat, das unser Leben von innen her trägt und nährt, haben wir gestern abend den inneren Weg der Anbetung begonnen. In der Eucharistie soll Anbetung Vereinigung werden. Mit der Eucharistiefeier stehen wir in der »Stunde« Jesu, von der das Johannes-Evangelium spricht. Durch die Eucharistie wird diese seine »Stunde« unsere Stunde, Gegenwart unter uns. Mit den Jüngern feierte er das Paschamahl Israels, das Gedächtnis der befreienden Tat Gottes, die Israel aus der Knechtschaft ins Freie führte. Jesus folgt den Riten Israels. Er spricht das Preis- und Segensgebet über das Brot. Aber nun geschieht Neues. Er dankt Gott nicht nur für die grossen Taten der Vergangenheit, er dankt ihm für seine Erhöhung, die im Kreuz und in der Auferstehung geschieht. Dabei spricht er auch zu den Jüngern mit Worten, die die Summe von Gesetz und Propheten in sich tragen: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.« Und so teilt er Brot und Kelch aus und trägt ihnen zugleich auf, das, was er jetzt sagt und tut, immer neu zu sagen und zu tun zu seinem Gedächtnis.
Was geschieht da? Wie kann Jesus seinen Leib austeilen und sein Blut? Indem er Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von aussen her brutale Gewalt ist – die Kreuzigung –, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar. Dies ist die eigentliche Wandlung, die im Abendmahlssaal geschah und die dazu bestimmt war, einen Prozess der Verwandlungen in Gang zu bringen, dessen letztes Ziel die Verwandlung der Welt dahin ist, dass Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15,28). Alle Menschen warten immer schon irgendwie in ihrem Herzen auf eine Veränderung und Verwandlung der Welt. Dies nun ist der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Hass, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, die das Böse überwindet, kann dann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. Alle anderen Veränderungen bleiben oberflächlich und retten nicht. Darum sprechen wir von Erlösung: Das zuinnerst Notwendige ist geschehen, und wir können in diesen Vorgang hineintreten. Jesus kann seinen Leib austeilen, weil er wirklich sich selber gibt. [Der Papst fuhr fort in Englisch:]
Diese erste grundlegende Verwandlung von Gewalt in Liebe, von Tod in Leben zieht dann die weiteren Verwandlungen nach sich. Brot und Wein werden sein Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf die Verwandlung nicht Halt machen, hier muss sie erst vollends beginnen. Leib und Blut Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden. Wir selber sollen Leib Christi werden, blutsverwandt mit ihm. Wir essen alle das eine Brot. Das aber heisst: Wir werden untereinander eins gemacht. Anbetung wird, so sagten wir, Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloss uns gegenüber der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im ganzen übergreifen, dass seine Liebe wirklich das beherrschende Mass der Welt werde. Ich finde diesen neuen Schritt, den das Abendmahl uns geschenkt hat, sehr schön angedeutet im Unterschied zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort für Anbetung. Das griechische Wort heisst »proskynesis«.
Es bedeutet den Gestus der Unterwerfung, die Anerkennung Gottes als unseren wahren Massstab, dessen Weisung wir folgen. Es bedeutet, dass Freiheit nicht bedeutet, sich auszuleben und für autonom zu halten, sondern sich nach dem Mass der Wahrheit und des Guten zu richten und so selbst wahr und gut zu werden. Dieser Gestus ist notwendig, auch wenn unser Freiheitsstreben ihm zunächst entgegensteht. Aber uns zueignen können wir ihn erst ganz in der zweiten Stufe, die sich im Abendmahl eröffnet. Das lateinische Wort für Anbetung heisst »ad-oratio« – Berührung von Mund zu Mund, Kuss, Umarmung und so im tiefsten Liebe. Aus Unterwerfung wird Einung, weil der, dem wir uns unterwerfen, die Liebe ist. So wird Unterwerfung sinnvoll, weil sie uns nicht Fremdes auferlegt, sondern uns freimacht zum Innersten unserer selbst. […in Französisch:]
Kehren wir noch einmal zum Letzten Abendmahl zurück. Das Neue, das da geschah, lag in der neuen Tiefe des alten Segensgebetes Israels, das nun zum Wort der Verwandlung wird und uns die Teilhabe an der »Stunde« Christi schenkt. Nicht das Paschamahl zu wiederholen, hat Jesus uns aufgetragen; es ist ja auch ein Jahresfest, das man nicht beliebig wiederholen kann. Er hat uns aufgetragen, in »seine Stunde« einzutreten. In sie treten wir ein durch das Wort der heiligen Macht der Verwandlung, die durch das Preisgebet geschieht, das uns in die Kontinuität mit Israel und der ganzen Heilsgeschichte Gottes stellt und uns zugleich das Neue schenkt, auf das dieses Gebet von innen her wartete. Dieses Gebet – die Kirche nennt es Hochgebet – konstituiert Eucharistie. Es ist Wort der Macht, das die Gaben der Erde auf ganz neue Weise in die Selbstgabe Gottes verwandelt und uns in diesen Prozess der Verwandlung hineinzieht. Deswegen nennen wir dieses Geschehen Eucharistie, was die übersetzung des hebräischen Wortes »beracha« ist – Dank, Preisung, Segen und so vom Herrn her Verwandlung: Gegenwart seiner »Stunde«. Die »Stunde« Jesu ist die Stunde, in der die Liebe siegt. Das heisst: Gott hat gesiegt, denn er ist die Liebe.
Die »Stunde« Jesu will unsere Stunde werden und wird es, wenn wir uns durch die Feier der heiligen Eucharistie in den Prozess der Verwandlungen hineinziehen lassen, um die es dem Herrn geht. Eucharistie muss Mitte unseres Lebens werden. Es ist nicht Positivismus oder Machtwille, wenn die Kirche uns sagt, dass zum Sonntag die Eucharistie gehört. Am Ostermorgen haben zuerst die Frauen, dann die Jünger den Auferstandenen sehen dürfen. So wussten sie von da an, dass nun der erste Wochentag, der Sonntag, sein Tag ist, der Tag Christi. Der Tag des Schöpfungsbeginns wird zum Tag der Erneuerung der Schöpfung. Schöpfung und Erlösung gehören zusammen. Deswegen ist der Sonntag so wichtig. Es ist schön, dass in vielen Kulturen heute der Sonntag ein freier Tag ist oder gar mit dem Samstag ein sogenanntes freies Wochenende bildet. Aber diese freie Zeit bleibt leer, wenn Gott nicht darin vorkommt. Liebe Freunde! Manchmal ist es vielleicht im ersten Augenblick unbequem, am Sonntag auch die heilige Messe einzuplanen. Aber Ihr werdet sehen, dass gerade das der Freizeit erst die rechte Mitte gibt. Lasst Euch nicht abbringen von der sonntäglichen Eucharistie, und helft auch den anderen, dass sie sie entdecken. Damit von ihr die Freude kommt, die wir brauchen, müssen wir sie natürlich auch immer mehr von innen verstehen und lieben lernen.
Mühen wir uns darum – es lohnt sich. Entdecken wir den inneren Reichtum des Gottesdienstes der Kirche und seine wahre Grösse: dass da nicht wir selber uns allein ein Fest machen, sondern dass der lebendige Gott selbst uns ein Fest gibt. Mit der Liebe zur Eucharistie werdet Ihr auch das Sakrament der Versöhnung neu entdecken, in der Gottes verzeihende Güte immer wieder einen Neubeginn in unserem Leben möglich macht. [… in Italienisch:]
Wer Christus entdeckt hat, muss andere zu ihm führen. Eine grosse Freude kann man nicht für sich selbst behalten. Man muss sie weitergeben. Heute gibt es in grossen Teilen der Welt eine merkwürdige Gottvergessenheit. Es scheint auch ohne ihn zu gehen. Aber zugleich gibt es auch ein Gefühl der Frustration, der Unzufriedenheit an allem und mit allem: Das kann doch nicht das Leben sein! In der Tat nicht. Und so gibt es zugleich mit der Gottvergessenheit auch so etwas wie einen Boom des Religiösen. Ich will nicht alles schlecht machen, was da vorkommt. Es kann auch ehrliche Freude des Gefundenhabens dabei sein. Aber – um die Wahrheit zu sagen – weithin wird doch Religion geradezu zum Marktprodukt. Man sucht sich heraus, was einem gefällt, und manche wissen, Gewinn daraus zu ziehen. Aber die selbstgesuchte Religion hilft uns im letzten nicht weiter. Sie ist bequem, aber in der Stunde der Krise lässt sie uns allein. Helft den Menschen, den wirklichen Stern zu entdecken, der uns den Weg zeigt: Jesus Christus. Versuchen wir selber, ihn immer besser kennenzulernen, damit wir überzeugend auch andere zu ihm führen können. Deswegen ist die Liebe zur Heiligen Schrift so wichtig, und deswegen ist es wichtig, den Glauben der Kirche zu kennen, in dem uns die Schrift aufgeschlüsselt wird: Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in ihrem wachsenden Glauben immer weiter in die Tiefe der Wahrheit eingeführt hat und einführt (vgl. Joh 16,13). Papst Johannes Paul II. hat uns ein wunderbares Werk geschenkt, in dem der Glaube der Jahrhunderte zusammenfassend dargelegt ist: den Katechismus der Katholischen Kirche. Ich selber konnte vor kurzem das Kompendium dieses Katechismus der öffentlichkeit vorstellen, das auch auf Wunsch des heimgegangenen Papstes erstellt wurde. Es sind zwei Grundbücher, die ich Euch allen ans Herz legen möchte. [… in Spanisch:]
Natürlich reichen Bücher allein nicht aus. Bildet Gemeinschaften aus dem Glauben heraus. In den letzten Jahrzehnten sind Bewegungen und Gemeinschaften entstanden, in denen die Kraft des Evangeliums sich lebendig zu Worte meldet. Sucht Gemeinschaft im Glauben, Weggefährten, die gemeinsam die grosse Pilgerstrasse weitergehen, die uns die Weisen aus dem Orient zuerst gezeigt haben. Das Spontane der neuen Gemeinschaften ist wichtig; aber wichtig ist auch, dabei die Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen zu halten, die uns garantieren, dass wir nicht Privatwege suchen, sondern wirklich in der grossen Familie Gottes leben, die der Herr mit den zwölf Aposteln begründet hat. […in Deutsch:]
Noch einmal muss ich zur Eucharistie zurückkommen. »Weil wir ein Brot sind, sind wir viele auch ein Leib«, sagt der heilige Paulus (1 Kor 10,17). Er will damit sagen: Weil wir den gleichen Herrn empfangen und er uns aufnimmt, in sich hineinzieht, sind wir auch untereinander eins. Aber das muss sich im Leben zeigen. Es muss sich zeigen in der Fähigkeit des Vergebens. Es muss sich zeigen in der Sensibilität für die Nöte des anderen. Es muss sich zeigen in der Bereitschaft zu teilen. Es muss sich zeigen im Einsatz für den Nächsten, den nahen wie den äusserlich fernen, der uns angeht.
Heute gibt es Formen des Volontariats, Gestalten des gegenseitigen Dienens, die gerade unsere Gesellschaft dringend braucht. Wir dürfen zum Beispiel die alten Menschen nicht ihrer Einsamkeit überlassen, an den Leidenden nicht vorbeigehen. Wenn wir von Christus her denken und leben, dann gehen uns die Augen auf, und dann leben wir nicht mehr für uns selber dahin, sondern dann sehen wir, wo und wie wir gebraucht werden.
Wenn wir so leben und handeln, merken wir alsbald, dass es viel schöner ist, gebraucht zu werden und für die anderen da zu sein, als nur nach den Bequemlichkeiten zu fragen, die uns angeboten werden. Ich weiss, dass Ihr als junge Menschen das Grosse wollt, dass Ihr Euch einsetzen wollt für eine bessere Welt. Zeigt es den Menschen, zeigt es der Welt, die gerade auf dieses Zeugnis der Jünger Jesu Christi wartet und zuallererst durch das Zeichen Eurer Liebe den Stern entdecken kann, dem wir folgen.
Gehen wir vorwärts mit Christus und leben wir unser Leben als wirkliche Anbeter Gottes.