Bischof






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Bischofsweihe
Die Wochen bis zur Weihe waren schwer. Ich schwankte innerlich noch immer, und überdies war noch eine Last an Arbeiten abzutragen, die mich fast erdrückt hätte, so dass ich mit ziemlich angeschlagener Gesundheit auf den Tag der Weihe zuging. Dieser Tag selber war freilich unfassbar schön. Es war ein strahlender Frühsommertag, am Vorabend von Pfingsten 1977. Der Dom zu München, der nach dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg einigermassen nüchtern ausgefallen war, war herrlich geschmückt und von einer Atmosphäre der Freude erfüllt, die einen geradezu unwiderstehlich ergriff. Ich habe erlebt, was Sakrament ist – dass da Wirklichkeit geschieht. [...] Aber die Freude des Tages war eben wirklich etwas anderes als die Zustimmung zu einer bestimmten Person, die ja erst ihre Befähigung zeigen musste. Es war die Freude darüber, dass dieses Amt, dieser Dienst, in einem Menschen wieder da war, der nicht für sich selber handelt und lebt, sondern für Ihn und darum für alle.
Joseph Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, 1998



Bischöflicher Wahlspruch und Wappen
Ich habe mir als bischöflichen Wahlspruch das Wort aus dem dritten Johannesbrief gewählt "Mitarbeiter der Wahrheit", zum einen, weil es mir die vereinigende Klammer zwischen meiner bisherigen Aufgabe und dem neuen Auftrag zu sein schien: Bei allen Unterschieden ging und geht es doch um das gleiche, der Wahrheit nachzugehen, ihr zu Diensten zu sein. Und weil in der heutigen Welt das Thema Wahrheit fast ganz verschwunden ist, weil sie als für den Menschen zu gross erscheint und doch alles verfällt, wenn es keine Wahrheit gibt, deswegen schien mir dieser Wahlspruch auch zeitgemäss im guten Sinn zu sein. Im Wappen der Freisinger Bischöfe findet sich seit ungefähr tausend Jahren der gekrönte Mohr: Man weiss nicht recht, was er bedeutet. Für mich ist er Ausdruck der Universalität der Kirche, die keinen Unterschied der Rassen und der Klassen kennt, weil wir alle "einer sind" in Christus (Gal 3,28).
Ich wählte für mich noch zwei Symbole dazu. Als erstes die Muschel, die zunächst einfach Zeichen unserer Pilgerschaft, unseres Unterwegsseins ist: "Wir haben hier keine bleibende Stadt." Aber mich erinnert sie auch an die Legende, Augustinus, der über das Geheimnis der Trinität grübelte, habe am Strand ein Kind mit einer Muschel spielen sehen, mit der es das Wasser des Meeres in eine kleine Grube zu schöpfen versuchte. Da sei ihm gesagt worden: So wenig diese Grube die Wasser des Meeres fassen kann, so wenig kann dein Verstand das Geheimnis Gottes umgreifen. So ist die Muschel Hinweis für mich auf meinen grossen Meister Augustinus, Hinweis auf meine theologische Arbeit und Hinweis auf die Grösse des Geheimnisses, das weiter reicht als all unsere Wissenschaft.
Schliesslich nahm ich aus der Legende des Freisinger Gründerbischofs Korbinian den Bären hinzu: Ein Bär habe auf der Reise nach Rom das Pferd des Heiligen zerfleischt, so erzählt die Geschichte. Da habe Korbinian ihm seine Untat streng verwiesen und ihm zur Strafe das Bündel aufgepackt, das bis dahin das Pferd getragen hatte. Nun musste der Bär das Bündel nach Rom schleppen und wurde erst dort vom Heiligen entlassen. Mich erinnerte der mit der Last des Heiligen beladene Bär an eine Psalmmeditation des heiligen Augustinus. In den Versen 22 und 23 des Psalmes 72 (73) hat der die Last und die Hoffnung seines Lebens ausgedrückt gefunden. Was er in diesen Versen findet und dazu kommentiert, ist wie ein Selbstporträt, im Angesicht Gottes aufgenommen und so nicht nur ein frommer Gedanke, sondern Auslegung des Lebens und Licht auf dem Weg.
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Was Augustinus da schreibt, wurde mir nun zur Darstellung meines eigenen Geschicks. Der Psalm aus der Weisheits- überlieferung zeigt die Not des Glaubens, die aus seiner irdischen Erfolglosigkeit kommt; wer auf Gottes Seite steht, steht nicht notwendig auf seiten des Erfolgs. (...) Er hatte das Leben eines Gelehrtes gewählt und war von Gott zum "Zugtier" bestimmt worden – zum braven Ochsen, der den Karren Gottes in dieser Welt zieht. Wie oft hat er aufbegehrt gegen all den Kleinkram, der ihm auf diese Weise auferlegt war und ihn an der grossen geistigen Arbeit hinderte, die er als seine tiefste Berufung wusste. Aber da hilft ihm der Psalm aus aller Bitterkeit heraus: Ja, freilich, ein Zugtier bin ich geworden, ein Packesel, ein Ochs – aber gerade so bin ich bei dir, diene dir, hast du mich in der Hand. Wie eben das Zugtier dem Bauern am nächsten ist und ihm seine Arbeit tut, so ist er gerade in solchem demütigen Dienst ganz nahe bei Gott, ganz in seiner Hand, ganz sein Werkzeug – nicht näher könnte er bei seinem Herrn sein, nicht wichtiger für ihn. Der bepackte Bär, der dem heiligen Korbinian das Pferd oder wohl eher den Maulesel ersetzte, sein Maulesel wurde – gegen seinen Willen, war er so und ist er nicht ein Bild dessen, was ich soll und was ich bin? "Ein Packesel bin ich für dich geworden, und gerade so bin ich ganz und immer bei dir."
Joseph Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, 1998



Dein Packesel
Was könnte ich mehr und Genaueres über meine bischöflichen Jahre sagen? Von Korbinian wird erzählt, dass er den Bären in Rom wieder in Freiheit entliess. Ob er in den Abruzzo ging oder in die Alpen zurückkehrte, interessierte die Legende nicht. Inzwischen habe ich mein Gepäck nach Rom getragen und wandere seit langem damit in den Strassen der Ewigen Stadt. Wann ich entlassen werde, weiss ich nicht, aber ich weiss, dass auch mir gilt: Dein Packesel bin ich geworden, und so, gerade so bin ich bei dir.
Joseph Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben, 1998



Das Wappen
Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit einen Gedanken wieder aufgreifen, den ich in meinen kurzen Erinnerungen im Zusammenhang meiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising dargestellt hatte. Ich sollte ja Nachfolger des heiligen Korbinian werden und bin es geworden. An der Legende dieses Heiligen hat mich seit meiner Kindheit die Geschichte fasziniert, wonach ein Bär sein Reittier auf seiner Reise über die Alpen zerrissen hat. Korbinian verwies es ihm streng und lud ihm zur Strafe sein Gepäck auf, das er nun bis nach Rom zu schleppen hatte. So musste der Bär, beladen mit dem Bündel des Heiligen, nach Rom wandern und wurde erst dort von Korbinian freigelassen. Als ich 1977 vor die schwierige Entscheidung gestellt wurde, die Ernennung zum Erzbischof von München und Freising anzunehmen oder nicht – eine Ernennung, die mich aus meiner gewohnten Tätigkeit als Universitätslehrer herausholte in neue Aufgaben und Verantwortungen -, da habe ich sehr nachgedacht, mich dann gerade an diesen Bären erinnert und an die Interpretation, die der heilige Augustinus von den Versen 22 und 23 des Psalms 72 [73] in seiner ganz ähnlichen Situation bei seiner Priester- und Bischofsweihe entwickelt und später in seinen Psalmenpredigten niedergelegt hat.
bild In diesem Psalm fragt sich der Psalmist, warum es den schlechten Menschen dieser Welt oft so gut geht und warum es so vielen guten Menschen in der Welt so schlecht geht. Dann sagt der Psalmist: ich war dumm, wie ich nachdachte, ich war wie ein Stück Vieh vor dir, aber dann bin ich in den Tempel hineingegangen und habe gewusst, dass ich gerade in meinen Nöten ganz nah bei dir bin und dass du immer mit mir bist. Augustinus hat diesen Psalm mit Liebe immer wieder aufgenommen und hat in diesem Wort: "Ich war wie ein Vieh vor dir" (iumentum im Lateinischen) die Bezeichnung für die Zugtiere gesehen, die damals in der Landwirtschaft in Nordafrika üblich waren, und er hat sich Selbst in dieser Bezeichnung "iumentum" als Lasttier Gottes wiedererkannt, sich selbst darin gesehen als einen, der unter der Last seines Auftrages der "sarcina episcopalis" steht. Er hatte von sich aus das Leben eines Gelehrten gewählt und war, wie er dann sagt von Gott zum "Zugtier" Gottes bestimmt worden – zum braven Ochsen, der den Pflug im Acker Gottes zieht, die schwere Arbeit tut, die ihm aufgetragen wird. Doch dann erkannte er: Wie das Zugtier ganz nahe bei dem Bauern ist, unter dessen Führung es arbeitet, so bin ich ganz nahe bei Gott, denn so diene ich ihm unmittelbar für das Errichten seines Reiches, für das Bauen der Kirche. Auf dem Hintergrund der Gedanken des Bischofs von Hippo ermutigt mich der Bär immer neu, meinen Dienst mit Freude und Zuversicht zu tun – vor dreissig Jahren wie auch nun in meiner neuen Aufgabe – und Tag für Tag mein Ja zu Gott zu sagen: Ein Lasttier bin ich für dich geworden, doch gerade so bin ich "immer bei dir" (Ps 72,23). Der Bär des heiligen Korbinian wurde in Rom freigelassen. In meinem Fall hat der Herr anders entschieden. Und so stehe ich also wieder zu Füssen der Mariensäule, um die Fürsprache und den Segen der Muttergottes zu erflehen, nicht nur für die Stadt München und auch nicht nur für das liebe Bayernland, sondern für die Kirche der ganzen Welt und für alle Menschen Guten Willens.
Ansprache auf dem Marienplatz in München, 9. September 2006




Persönliche Berufung
Ich gestehe, dass ich mir bei der Vollendung des 70. Lebensjahres sehr gewünscht habe, der geliebte Papst Johannes Paul II. würde mir erlauben, dass ich mich dem Studium und der Erforschung interessanter Dokumente und Fundstücke widmen kann, die von euch sorgfältig gehütet werden; wahre Meisterwerke, die uns helfen, die Geschichte der Menschheit und des Christentums zu überschauen. Der Herr hatte in seinem providentiellen Ratschluss ein anderes Programm für meine Person vorgesehen, und da bin ich nun heute unter euch, nicht als leidenschaftlicher Forscher von alten Texten, sondern als Hirte, berufen, alle Gläubigen zu ermutigen, am Heil der Welt mitzuwirken, indem wir den Willen Gottes dort erfüllen, wo er uns zu arbeiten berufen hat.

Ansprache beim Besuch der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek, 25. Juni 2007