Die Wahl
Fallbeil
Als langsam der Gang der Abstimmung mich erkennen liess, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindlig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese grosse Aufgabe herantreten können.
Da hat mich ein kleiner Brief sehr berührt, den mir ein Mitbruder aus dem Kardinalskollegium geschrieben hat. Er erinnert mich daran, dass ich die Predigt beim Gottesdienst für Johannes Paul II. vom Evangelium her unter das Wort gestellt hatte, das der Herr am See von Genezareth zu Petrus gesagt hat: Folge mir nach! Ich hatte dargestellt, wie Karol Wojtyla immer wieder vom Herrn diesen Anruf erhielt und immer neu viel aufgeben und einfach sagen musste: Ja, ich folge dir, auch wenn du mich führst, wohin ich nicht wollte. Der Mitbruder schrieb mir: Wenn der Herr nun zu dir sagen sollte "Folge mir", dann erinnere dich, was du gepredigt hast. Verweigere Dich nicht! Sei gehorsam, wie Du es vom grossen heimgegangenen Papst gesagt hast. Das fiel mir ins Herz. Bequem sind die Wege des Herrn nicht, aber wir sind ja auch nicht für die Bequemlichkeit, sondern für das Grosse, für das Gute geschaffen.
So blieb mir am Ende nichts, als Ja zu sagen. Ich vertraue auf den Herrn, und ich vertraue auf Euch, liebe Freunde.
Audienz für die Pilger aus Deutschland, 25. April 2005
Wer soll es sein?
Wiederum war es so, als wir den schweren Zug ins Konklave gingen, um den zu finden, den der Herr erwählt hat. Wie sollten wir nur den Namen erkennen? Wie sollten 115 Bischöfe aus allen Kulturen und Ländern den finden, dem der Herr den Auftrag des Bindens und des Lösens geben möchte? Aber wieder wussten wir: Wir sind nicht allein. Wir sind von den Freunden Gottes umgeben, geleitet und geführt.
Und nun, in dieser Stunde, muss ich schwacher Diener Gottes diesen unerhörten Auftrag übernehmen, der doch alles menschliche Vermögen überschreitet. Wie sollte ich das? Wie kann ich das? Aber Ihr alle, liebe Freunde, habt nun die ganze Schar der Heiligen stellvertretend durch einige der grossen Namen der Geschichte Gottes mit den Menschen herbeigerufen, und so darf auch ich wissen: Ich bin nicht allein. Ich brauche nicht allein zu tragen, was ich wahrhaftig allein nicht tragen könnte. Die Schar der Heiligen Gottes schützt und stützt und trägt mich. Und Euer Gebet, liebe Freunde, Eure Nachsicht, Eure Liebe, Euer Glaube und Euer Hoffen begleitet mich.
Predigt in der hl. Messe zu Beginn des Pontifikates, Rom, 24. April 2005
Staunen und Dankbarkeit
Wie ich schon bei der ersten Begegnung mit den Herrn Kardinälen am Mittwoch vor genau einer Woche in der Sixtinischen Kapelle sagte, empfinde ich in diesen Tagen des Antritts meines Petrusamtes unterschiedliche Gefühle in meinem Herzen: Staunen und Dankbarkeit Gott gegenüber, der vor allem mich selbst überrascht hat, als er mich zum Nachfolger des Apostels Petrus berief; und auch ein inneres Bangen angesichts der hohen Aufgabe und der schweren Verantwortung, die mir anvertraut worden sind. Aber die Gewissheit des Beistands Gottes und seiner allerseligsten Mutter, der Jungfrau Maria, sowie der heiligen Schutzpatrone erfüllt mich mit Gelassenheit und Freude. Eine Stütze ist mir auch die geistliche Nähe des ganzen Volkes Gottes, das ich weiterhin bitte – wie ich schon am vergangenen Sonntag wiederholt habe -, mich unermüdlich im Gebet zu begleiten.
Erste Generalaudienz auf dem Petersplatz, 27. April 2005
Rückblick
Abschliessend muss ich vielleicht noch jenen 19. April diese Jahres erwähnen, an dem das Kardinalskollegium mich zu meinem nicht geringen Schrecken zum Nachfolger von Papst Johannes Paul II., zum Nachfolger des hl. Petrus auf dem Bischofsstuhl von Rom, gewählt hat. Eine solche Aufgabe lag jenseits all dessen, was ich mir jemals als meine Berufung hätte vorstellen können. So konnte ich nur mit einem tiefen Akt des Vertrauens auf Gott im Gehorsam mein "Ja" zu dieser Wahl sagen. Wie damals, so bitte ich auch heute euch alle um euer Gebet, auf dessen Kraft und Hilfe ich zähle. Gleichzeitig möchte ich in dieser Stunde all jenen von Herzen danken, die mich mit soviel Vertrauen, Güte und Verständnis aufgenommen haben und mich noch immer aufnehmen und mich tagtäglich mit ihrem Gebet begleiten.
Ansprache am Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium und die Mitarbeiter der Römischen Kurie, 22. Dezember 2005
Vor einem Jahr...
Wie schnell die Zeit vergeht! Es ist bereits ein Jahr vergangen, seitdem die im Konklave versammelten Kardinäle meine arme Person in die Nachfolge des verstorbenen Dieners Gottes, des geliebten und grossen Papstes Johannes Paul II., gewählt haben, was für mich völlig unerwartet und überraschend kam. Ich bin innerlich bewegt, wenn ich daran zurückdenke, wie ich unmittelbar nach meiner Wahl zum ersten mal auf der Mittleren Loggia der Basilika den hier auf diesem Platz versammelten Gläubigen gegenüberstand. Die Erinnerung an jene Begegnung hat sich mir im Geist und im Herzen eingeprägt; auf sie folgten viele weitere Begegnungen, die mich erfahren liessen, wie sehr das zutrifft, was ich während der festlichen Konzelebration sagte, mit der ich die Ausübung des Petrusamtes feierlich begonnen habe: "So darf ich auch wissen: Ich brauche nicht allein zu tragen, was ich wahrhaftig allein nicht tragen könnte". Und ich spüre immer mehr, dass ich diese Aufgabe, diese Sendung allein nicht tragen könnte. Aber ich spüre auch, dass ihr sie mit mir tragt: So befinde ich mich in einer grossen Gemeinschaft, und zusammen können wir die vom Herrn erhaltene Sendung voranbringen.
Eine unersetzliche Hilfe ist mir der himmlische Schutz Gottes und der Heiligen; und eure Nähe, liebe Freunde, die ihr mir stets eure Nachsicht und Liebe schenkt, gibt mir Kraft. Von ganzem Herzen danke ich allen, die auf verschiedene Weise nah an meiner Seite stehen oder mich aus der Ferne im Geiste mit ihrer Zuneigung und ihrem Gebet begleiten. Ich bitte jeden von euch, mich auch weiterhin zu unterstützen und Gott zu bitten, dass er mich ein milder und standhafter Hirte sein lasse.
Generalaudienz, 19. April 2006