Ihr Leben
Eucharistische Prozession
Maria begibt sich zu ihrer betagten Cousine Elisabet, von der alle sagten, sie sei unfruchtbar, und die doch im sechsten Monat einer von Gott geschenkten Schwangerschaft stand (vgl. Lk 1,36), und Maria trägt in ihrem Schoss den soeben empfangenen Jesus. Sie ist eine junge Frau, aber sie hat keine Angst, denn Gott ist mit ihr, er ist in ihr. In gewisser Weise können wir sagen, dass ihr Weg – und das unterstreichen wir gerne in diesem Jahr der Eucharistie – die erste »eucharistische Prozession« der Geschichte war. Als lebendiger Tabernakel des fleischgewordenen Gottes ist Maria die Bundeslade, in der der Herr sein Volk besucht und erlöst hat. Die Gegenwart Jesu erfüllt sie mit Heiligem Geist.
Ansprache bei der Andacht zum Abschluss des Maimonats, 31. Mai 2005
Akt des Glaubens und des Gehorsams
Den im Evangelium wiedergegebenen Worten und Gesten können wir entnehmen, wie Maria sich in ihrem Leben wirklich in die Worte der Propheten versenkte und das Kommen des Herrn mit ihrem ganzen Sein erwartete. Dennoch konnte sie nicht ahnen, wie dieses Kommen vonstatten gehen sollte. Vielleicht erwartete sie ein Kommen in Herrlichkeit. Um so überraschender war für sie der Moment, als der Erzengel Gabriel in ihr Haus eintrat und ihr sagte, dass der Herr, der Erlöser, in ihr und von ihr Fleisch annehmen und sein Kommen durch die verwirklichen wollte. Wir können uns die Befangenheit der Jungfrau gut vorstellen. Mit einem grossen Akt des Glaubens und des Gehorsams sagt Maria "Ja": "Ich bin die Magd des Herrn". So wurde sie zur "Wohnstatt" des Herrn, zum wahren "Tempel" in der Welt und zur "Tür", durch die der Herr in die Welt eingetreten ist.
Vesper im Petersdom am 1. Adventsonntag, 26. November 2005
Sie bewahrte alles in ihrem Herzen
"Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (Lk 2,19). Der erste Tag des Jahres ist unter das Zeichen einer Frau gestellt: Maria. Der Evangelist Lukas beschreibt sie als die stille Jungfrau, die ohne Unterlass dem ewigen Wort lauscht, das im Wort Gottes lebt. Maria bewahrt in ihrem Herzen die Worte, die von Gott kommen, und indem sie sie wie ein Mosaik zusammensetzt, lernt sie, sie zu verstehen. In ihrer Schule wollen auch wir lernen, aufmerksame und fügsame Jünger des Herrn zu werden. Mit ihrer mütterlichen Hilfe wollen wir uns bemühen, eifrig auf dem "Bauplatz" des Friedens zu arbeiten, in der Nachfolge Christi, des Friedensfürsten.
Predigt am Hochfest der Gottesmutter Maria, 1. Januar 2006
Mitgeteilte Freude
Diese Freude, die man empfangen hat, kann man nicht für sich allein behalten; die Freude muss immer geteilt werden. Eine Freude muss mitgeteilt werden. Maria hat sich sogleich aufgemacht, um ihrer Verwandten Elisabeth ihre Freude mitzuteilen. Und seit sie in den Himmel aufgenommen wurde, schenkt sie in der ganzen Welt Freude, ist sie die grosse Trösterin geworden, unsere Mutter, die Freude, Zuversicht und Güte mitteilt und uns einlädt, ebenfalls Freude zu verbreiten.
Predigt in der römischen Pfarrei "Santa Maria Consolatrice a Casal Bertone", 18. Dezember 2005
Ganz in Gott
Maria ist gross eben deshalb, weil sie nicht sich, sondern Gott gross machen will. Sie ist demütig: Sie will nichts anderes sein als Dienerin des Herrn (vgl. Lk 1, 38. 48).
Sie weiss, dass sie nur dadurch zum Heil der Welt beiträgt, dass sie nicht ihr eigenes Werk vollbringen will, sondern sich dem Wirken Gottes ganz zur Verfügung stellt. Sie ist eine Hoffende: Nur weil sie den Verheissungen Gottes glaubt und auf das Heil Israels wartet, kann der Engel zu ihr kommen und sie für den entscheidenden Dienst an diesen Verheissungen berufen. Sie ist eine Glaubende: "Selig bist du, weil du geglaubt hast", sagt Elisabeth zu ihr (vgl. Lk 1, 45). Das Magnifikat — gleichsam ein Porträt ihrer Seele — ist ganz gewoben aus Fäden der Heiligen Schrift, aus den Fäden von Gottes Wort. So wird sichtbar, dass sie im Wort Gottes wirklich zu Hause ist, darin aus- und eingeht. Sie redet und denkt mit dem Wort Gottes; das Wort Gottes wird zu ihrem Wort, und ihr Wort kommt vom Wort Gottes her.
Enzyklika "Deus Caritas Est", 25. Dezember 2005
Die Liebende
Maria ist eine Liebende. Wie könnte es anders sein? Als Glaubende und im Glauben mit Gottes Gedanken denkend, mit Gottes Willen wollend kann sie nur eine Liebende sein. Wir ahnen es an den leisen Gebärden, von denen uns die Kindheitsgeschichten aus dem Evangelium erzählen. Wir sehen es in der Diskretion, mit der sie in Kana die Not der Brautleute wahrnimmt und zu Jesus trägt. Wir sehen es in der Demut, mit der sie die Zurückstellung in der Zeit des öffentlichen Lebens annimmt — wissend, dass der Sohn nun eine neue Familie gründen muss und dass die Stunde der Mutter erst wieder sein wird im Augenblick des Kreuzes, der ja die wahre Stunde Jesu ist (vgl. Joh 2, 4; 13, 1). Dann, wenn die Jünger geflohen sind, wird sie es sein, die unter dem Kreuz steht (vgl. Joh 19, 25-27); und später, in der Stunde von Pfingsten, werden die Jünger sich um sie scharen in der Erwartung des Heiligen Geistes (vgl. Apg 1, 14).
Enzyklika "Deus Caritas Est", 25. Dezember 2005
Mit auf dem Weg des Gehorsams
Die erste Person, die sich Christus auf dem Weg des Gehorsams, des bewährten Glaubens und des geteilten Schmerzes anschliesst, ist seine Mutter Maria. Der Text des Evangeliums zeigt sie uns bei der Darbringung des Sohnes: ein bedingungsloses Opfer, das sie ganz persönlich miteinschliesst: Maria ist die Mutter dessen, der "Herrlichkeit für sein Volk Israel" ist und "ein Licht, das die Heiden erleuchtet", aber auch "ein Zeichen, dem widersprochen wird" (vgl. Lk 2, 32 34). Und ihr selbst wird das Schwert des Schmerzes durch ihre unbefleckte Seele dringen; so wird sie zeigen, dass sich ihre Rolle in der Heilsgeschichte nicht im Geheimnis der Menschwerdung erschöpft, sondern sich in der liebevollen und schmerzensreichen Teilnahme am Tod und an der Auferstehung ihres Sohnes vollendet. Als die jungfräuliche Mutter den Sohn nach Jerusalem bringt, weiht sie ihn Gott als wahres Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt; sie reicht ihn Simeon und Hanna als Ankündigung der Erlösung; sie zeigt ihn allen als Licht für einen sicheren Gang auf dem Weg der Wahrheit und des Lichts.
Predigt am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar 2006
Voll der Gnade...
"Sei gegrüsst, die du voll der Gnade bist" (Lk. 1.29). In der Tat, als der Engel "bei ihr eintritt", nennt er sie nicht mit ihrem irdischen Namen Maria, sondern mit ihrem göttlichen, so wie Gott sie seit jeher sieht und bezeichnet: "Voll der Gnade - gratia plena", [...] "Begnadete", und die Gnade ist nichts anderes als die Liebe Gottes, so dass wir dieses Wort schliesslich mit "die von Gott geliebte" übersetzen könnten (vgl. Lk 1,28). [...] Origines hält fest, dass niemals ein Mensch mit einem solchen Ehrentitel bedacht worden sei und dass dieser an keiner anderen Stelle der ganzen Heiligen Schrift vorkomme (vgl. In Lucam 6,7). Der Titel ist in passiver Form ausgedrückt, aber diese "Passivität" Mariens, die von jeher und für immer die vom Herrn "geliebte" ist, schliesst ihre freie Zustimmung, ihre persönliche und eigene Antwort ein: Im Geliebtsein, im Empfangen der Gabe Gottes, ist Maria ganz aktiv, weil sie die Flut der Liebe Gottes, die sich in sie ergiesst, in persönlicher Bereitschaft aufnimmt. Auch darin ist sie vollkommene Jüngerin ihres Sohnes, der durch den Gehorsam gegenüber dem Vater seine eigene Freiheit ganz verwirklicht und eben auf diese Weise seine Freiheit ausübt, indem er gehorcht.
Predigt am Hochfest der Verkündigung des Herrn, 25. März 2006
Unter ihrem "Ja"
Die Ikone der Verkündigung lässt uns besser als jede andere ganz klar wahrnehmen, wie alles in der Kirche auf jenes Geheimnis der Annahme des göttlichen Wortes zurückgeht, wo durch das Wirken des Heiligen Geistes der Bund zwischen Gott und der Menschheit in vollkommener Weise besiegelt worden ist. Alles in der Kirche, jede Einrichtung und jeder Dienst, auch der des Petrus und seiner Nachfolger, ist unter dem Mantel der Jungfrau "hineingenommen" in die Gnadenfülle ihres "Ja" zum Willen Gottes.
Predigt am Hochfest der Verkündigung des Herrn, 25. März 2006
Eilen um zu dienen
Nachdem sie die Botschaft des Engels empfangen hatte, war die erste Tat Mariens, dass sie zum Haus ihrer Base Elisabeth "eilte", um ihr zu dienen (vgl. Lk 1, 39). Die Jungfrau Maria handelte aus echter, demütiger und mutiger Liebe, vom Glauben an das Wort Gottes und vom inneren Antrieb des Heiligen Geistes geführt. Wer liebt, vergisst sich selbst und stellt sich in den Dienst des Nächsten. Das ist das Bild, das Modell der Kirche! Jede kirchliche Gemeinschaft ist wie die Mutter Christi dazu aufgerufen, in voller Bereitschaft das Geheimnis Gottes anzunehmen, der kommt, um in ihr zu wohnen, und sie auf Wege der Liebe zu führen.
Predigt am Hochfest der Verkündigung des Herrn, 25. März 2006
Das Licht Gottes im Antlitz der Heiligen
Wir loben Gott nicht genug, wenn wir über seine Heiligen schweigen, insbesondere über "die Heilige", Maria, die seine Wohnung auf Erden geworden ist. Das einfache und facettenreiche Licht Gottes erscheint uns in seiner Vielfalt und in seinem Reichtum allein auf dem Antlitz der Heiligen, die der wahre Spiegel seines Lichtes sind. Und vor allem im Antlitz Marias können wir die Schönheit Gottes, seine Güte und Barmherzigkeit mehr erkennen als auf andere Art und Weise. Auf ihrem Antlitz können wir das göttliche Licht wirklich wahrnehmen.
Predigt am Hochfest "Mariä Aufnahme in den Himmel", 15. August 2006
Im Herzen bewahrt
Der hl. Lukas sagt uns zweimal, Maria "bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (Lk 2,19; vgl. 2,51). Sie war ein Mensch im Gespräch mit Gott, mit dem Wort Gottes und auch mit den Geschehnissen, durch die Gott mit ihr sprach. Das Magnificat ist aus Worten der Heiligen Schrift "gewoben" und zeigt uns, wie Maria in einem fortwährenden Gespräch mit dem Wort Gottes und auf diese Weise mit Gott selbst gelebt hat. Natürlich war sie dann im Leben mit dem Herrn immer im Gespräch mit Christus, mit dem Sohn Gottes und mit dem dreieinigen Gott. Wir lernen daher von Maria, mit dem Herrn persönlich zu sprechen, indem wir die Worte Gottes in unserem Leben und in unserem Herzen erwägen und bewahren, damit sie echte Nahrung für einen jeden werden. Auf diese Weise leitet uns Maria in einer Schule des Gebets, in einem persönlichen, tiefen Kontakt mit Gott.
Begegnung mit den Priestern der Diözese Rom, 22. Februar 2007
Widerschein des Ja-Wortes Christi
Als die Jungfrau ihr "Ja" zur Verkündigung des Engels sagte, wurde Jesus empfangen, und mit Ihm begann das neue Zeitalter der Geschichte, das im Ostergeschehen als "neuer und ewiger Bund" besiegelt werden sollte. In Wirklichkeit ist das Jawort Marias der vollkommene Widerschein des Jaworts Christi selbst, als er in die Welt kam, wie im Hebräerbrief als Deutung zum Psalm 40‘ geschrieben steht: "Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle-, um deinen Willen, Gott, zu tun" (109,7). Der Gehorsam des Sohnes spiegelt sich im Gehorsam der Mutter wider, und auf diese Weise, durch das Aufeinandertreffen der beiden Jaworte, konnte Gott ein menschliches Antlitz annehmen. So ist die Verkündigung auch ein christologisches Fest, weil es ein zentrales Mysterium Christi feiert; seine Menschwerdung.
Angelus, 25. März 2007
Innere Freiheit
Die Liebe Gottes, der sich selber für uns und an uns verloren hat, schenkt uns die innere Freiheit , unser Leben "loszulassen" und so das wirkliche Leben zu finden. Die Teilhabe an dieser Liebe hat einst Maria die Kraft gegeben zu ihrem vorbehaltlosen Ja. Angesichtes der rücksichtsvollen und feinfühligen Liebe Gottes, der zur Verwirklichung seines Heilsplanes auf die freiwillige Mitwirkung seines Geschöpfes wartet, konnte die Jungfrau alle Bedenken fallen lassen und sich vertrauensvoll bei diesem grossen, unerhörten Plan in seine Hand geben. Vollkommen verfügbar, innerlich ganz weit geöffnet und frei von sich selbst, ermöglichte sie es Gott, sie mit seiner Liebe, mit seinem Heiligen Geist zu erfüllen. Und so konnte Maria, die einfache Frau, Gottes Sohn in sich empfangen und der Welt den Erlösen schenken, der sich ihr geschenkt hatte.
Angelusgebet in Wien, 9. September 2007
Die Unbefleckte Empfängnis betrachten
Der 150. Jahrestag der Erscheinungen von Lourdes lädt uns ein, den Blick auf die allerseligste Jungfrau zu richten, deren Unbefleckte Empfängnis das erhabene und ungeschuldete Geschenk Gottes an eine Frau darstellt, auf dass sie voll und ganz dem göttlichen Plan zustimmen konnte, in festem und unerschütterlichem Glauben, trotz der Prüfungen und Leiden, denen sie begegnen sollte. Daher ist Maria das Vorbild völliger Hingabe an den Willen Gottes: Sie hat das ewige Wort im Herzen aufgenommen und es in ihrem jungfräulichen Schoss empfangen; sie hat Gott vertraut und hat - die Seele durchdrungen vom Schwert des Schmerzes (vgl. Lk 2,35) - nicht gezögert, das Leiden ihres Sohnes zu teilen und auf dem Kalvarienberg unter dem Kreuz das "Ja" der Verkündigung zu erneuern. Über die Unbefleckte Empfängnis Marias nachzudenken bedeutet daher, sich anziehen zu lassen von dem "Ja", das sie auf wunderbare Weise mit der Sendung Christi, des Erlösers der Menschheit, verbunden hat; es bedeutet, sich von ihr an die Hand nehmen und führen zu lassen, um selbst das "fiat" zum Willen Gottes zu sprechen mit der ganzen aus Freude und Traurigkeit, Hoffnungen und Enttäuschungen gewobenen Existenz, im Bewusstsein, dass die Prüfungen, der Schmerz und das Leiden unserem irdischen Pilgerweg reichen Sinn schenken.
Botschaft zum 16. Welttag der Kranken,11. Januar 2008
Der Glaube Marias
Indem sie die Oberfläche durchbricht, "sieht" Maria mit den Augen des Glaubens das Wirken Gottes in der Geschichte. Deshalb ist sie gesegnet, weil sie geglaubt hat: Denn durch den Glauben hat sie das Wort des Herrn aufgenommen und das Menschgewordene Wort empfangen. Ihr Glaube hat sie sehen lassen, dass alle Throne der Mächtigen dieser Welt vorläufig sind, während Gottes Thron der einzige Fels ist der sich nicht verändert und nicht einstürzt.
Ansprache beim Rosenkranzgebet zum Abschluss des Marienmonats Mai, 31. Mai 2008
Das Ereignis der Verkündigung
Wir können uns den Seelenzustand der Jungfrau nach der Verkündigung, als der Engel von ihr gegangen war, vorstellen. Maria trägt jetzt, geborgen in ihrem Schoss, ein grosses Geheimnis in sich; sie weiss, dass etwas ganz einzigartiges geschehen ist; sie ist sich bewusst, dass das letzte Kapitel der Heilsgeschichte der Welt begonnen hat. Aber um sie herum hat sich nichts verändert, und das Dorf Nazaret weiss nichts von dem, was ihr geschehen war.
Maria denkt aber zuerst nicht an sich selbst, sondern an die ältere Elisabeth, die, wie sie erfahren hatte, hochschwanger war. Gedrängt vom Geheimnis der Liebe, das sie soeben in sich empfangen hat, macht sich Maria "eilend" auf den Weg, um ihr beizustehen.
Das ist die einfache und zugleich erhabene Grösse Marias!
Als sie das Haus von Elisabeth betritt, geschieht etwas dessen Schönheit und tiefe Wirklichkeit kein Maler je wiedergeben könnte. Das innere Licht des Heiligen Geistes umstrahlt ihre Personen.
Und Elisabeth, vom Heiligen Geist erfüllt, ruft aus: "Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruss hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen liess" ( Lk 1, 42-45).
Diese Worte könnten uns angesichts der konkreten Wirklichkeit übertrieben erscheinen. Elisabeth ist eine von vielen älteren Frauen Israels, und Maria ist ein unbekanntes Mädchen aus einem abgelegenen Dorf in Galiläa. Was können sie sein, und was können sie tun in der Welt, in der andere Menschen zählen und andere Mächte Gewicht haben? Aber Maria erstaunt uns von neuem; ihr Herz ist rein, ganz offen für das Licht Gottes; ihre Seele ist ohne Sünde, nicht vom Stolz und Egoismus beschwert. Elisabeths Worte entfachen in ihrem Innern einen Lobpreis, der eine wahre und tiefe "theologische" Sicht der Geschichte ist. Eine Vision, die wir von ihr ständig lernen sollen, denn ihr Glaube ist ohne Schatten und ohne Brüche. "Meine Seele preist die Grösse des Herrn!" Maria erkennt die Grösse Gottes. Das ist das erste unerlässliche Gefühl des Glaubens; das Gefühl, das dem Menschen Sicherheit gibt und ihn von der Angst befreit, auch inmitten der Stürme der Geschichte.
Ansprache beim Rosenkranzgebet zum Abschluss des Marienmonats Mai, 31. Mai 2008
Der Heilige Geist gab ihr die Kraft
Liebe junge Freunde!
Jetzt werden wir gleich das schöne Gebet des Angelus sprechen. In ihm werden wir über Maria nachdenken, eine junge Frau im Gespräch mit dem Engel, der sie im Namen Gottes zu einer besonderen Schenkung ihrer selbst, ihres Lebens, ihrer Zukunft als Frau und Mutter einlädt. Wir können uns verstellen, wie sich Maria in jenem Moment gefühlt haben muss: voll banger Furcht, gänzlich überwältigt von der Perspektive, die sich vor ihr auftat.
Der Engel verstand ihre Angst, und sofort versuchte er, sie zu beruhigen: "Fürchte dich nicht Maria... Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des höchsten wird dich überschatten" (Lk 1,30.35). Der Heilige Geist war es, der ihr die Kraft und den Mut verlieh, um auf den Ruf des Herrn antworten zu können. Der Geist war es, der ihr half, das grosse Geheimnis zu verstehen, das im Begriff war, sich durch sie zu vollbringen. Der Heilige Geist war es, der sie in seine Liebe einhüllte und sie dazu befähigte, in ihrem Schoss den Sohn Gottes zu empfangen.
Angelus in Sydney, 20. Juli 2008
Gottes "Heiratsantrag" an die Menschheit
Der Bund mit Israel war wie eine Zeit der Liebeswerbung, ein langes Verlöbnis. Dann kam der endgültige Moment, der Moment der Ehe, die Verwirklichung eines neuen und ewigen Bundes. In jenem Augenblick repräsentierte Maria vor dem Herrn die gesamte Menschheit. In der Botschaft des Engels war es Gott, der der Menschheit gegenüber einen Heiratsantrag vorbrachte. Und in unserem Namen sagte Maria "ja".
In den Märchen hören die Geschichten hier auf, und "von da an lebten alle glücklich und zufrieden". Im wirklichen Leben ist es nicht so leicht. Es gab viele Schwierigkeiten, vor die Maria gestellt war, als sie die Folgen jenes dem Herrn gegebenen "Ja" auf sich nahm. Simenon prophezeite, dass ein Schwert ihr Herz durch bohren würde. Als Jesus zwölf Jahre alt war, machte sie die Erfahrung der schlimmsten Albträume aller Eltern, als ihr Kind für drei Tage vermist wurde. Und nach der öffentlichen Tätigkeit Jesu erfuhr sie das höchste Leid, als sie bei der Kreuzigung und dem Tod dabei war. Über die verschiedenen Prüfungen hinweg blieb sie immer ihrem Versprechen treu, gestützt durch den Geist der Stärke. Und ihr Lohn war die Herrlichkeit.
Angelus in Sydney, 20. Juli 2008
Die Heilige Jungfrau war bereit
Maria, die selige Jungfrau, Maria, die Unbefleckte Empfängnis, war vor 2000 Jahren bereit, alles zu geben, ihren Leib zur Verfügung zustellen, um den Leib des Schöpfers aufzunehmen. Alles ist von Christus gekommen, auch Maria; alles ist mit Hilfe von Maria gekommen, auch Christus.
Eucharistische Prozession in Lourdes, 14. September 2008
Die Unbefleckte Empfängnis
Die „Schöne Dame“ nennt Bernadette ihren Namen: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“. Maria offenbart ihr so die ausserordentliche Gnade, die sie von Gott empfangen hat, nämlich dass sie ohne Sünde empfangen wurde, denn „auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“ (Lk 1,48). Maria ist jene Frau unserer Erde, die sich Gott völlig überlassen und die von ihm das Vorrecht empfangen hat, seinem ewigen Sohn das menschliche Leben zu schenken. „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Sie ist die verklärte Schönheit, das Bild der neuen Menschheit.
Predigt bei der Eucharistiefeier in Lourdes, 14. September 2008
Marias Tränen haben sich in Freude verwandelt
Heute befindet sich Maria in der Freude und Herrlichkeit der Auferstehung. Die Tränen, die sie am Fuss des Kreuzes vergossen hat, haben sich zu einem Lächeln gewandelt, das durch nichts mehr ausgelöscht werden kann, und dennoch bleibt ihr mütterliches Mitleid uns gegenüber unverändert bestehen.
Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Kranken in Lourdes, 15. September 2008