Leiden
Den Sinn des Leidens
Wir müssen alles tun, um Leid zu mildern und Ungerechtigkeit, durch die Unschuldige leiden müssen, zu verhindern. Wir müssen jedoch auch alles tun, damit die Menschen den Sinn des Leidens erkennen können und so in der Lage sind, das eigene Leiden anzunehmen und es mit dem Leiden Christi zu vereinen. Auf diese Weise wird ihr Leiden eins mit der erlösenden Liebe und folglich zu einer Kraft gegen das Böse in der Welt.
Ansprache am Weihnachtsempfang für des Kardinalskollegium und die Mitarbeiter der Römischen Kurie, 22. Dezember 2005
Durchkreuzung des Ich
Ewiges Leben, selige Unsterblichkeit haben wir nicht aus uns selbst und nicht in uns selbst, sondern durch eine Relation - durch das Mitsein mit dem, der die Wahrheit und die Liebe und darum ewig, Gott selber ist. Die blosse Unzerstörbarkeit der Seele allein könnte ewigem Leben keinen Sinn geben, es nicht zu wirklichem Leben machen. Leben kommt uns aus dem Geliebtsein von dem, der das Leben ist; aus dem Mitlieben und Mitleben mit ihm. Ich, doch nicht mehr ich: Das ist der Weg des Kreuzes, der Durchkreuzung einer bloss ins Ich eingeschlossenen Existenz, und grade so öffnet sich die wahre, die bleibende Freude.
Predigt in der Osternachtsfeier, 15. April 2006
Nicht Zuschauer bleiben
Auf dem Kreuzweg dürfen wir nicht nur Zuschauer bleiben. Wir sind mit hinein genommen und müssen unseren Platz suchen: Wo sind wir? Auf dem Kreuzweg kann man nicht neutral bleiben. Pilatus, der skeptische Intellektuelle, hat versucht, neutral zu sein, sich herauszuhalten - aber gerade dadurch hat er Stellung bezogen gegen die Gerechtigkeit, aus Konformismus seiner Karriere wegen.
Wir müssen unseren Platz suchen. Im Spiegel des Kreuzes haben wir alle Leiden der Menschheit von heute gesehen. Im Kreuz Christi haben wir heute das Leiden der im Stich gelassenen und missbrauchten Kinder gesehen, die Bedrohungen, denen die Familie ausgesetzt ist, die Spaltung der Welt in den Hochmut der Reichen, die Lazarus vor ihrer Tür nicht wahrnehmen, und in die Armut so vieler, die Hunger und Durst leiden.
Ansprache nach dem Kreuzweg am Kolosseum, 14. April 2006
Leiden verbindet alle
Das Leiden verbindet im Grunde alle, und wenn man leidet, sollte man vor allem den Wunsch verspüren, zu Verstehen, wie sehr der andere leidet, der sich in einer ähnlichen Lage befindet. Der geduldige und demütige Dialog, der im gegenseitigen Aufeinanderhören geführt wird und auf das Verständnis der Lage des andern ausgerichtet ist, hat schon von vielen, ehedem durch Gewalt und Rache verwüsteten Ländern gute Frucht getragen. Ein wenig mehr Vertrauen in die Menschlichkeit des andern, vor allem wenn er leidet, kann nur zu wirksamen Ergebnissen führen. Diese innere Bereitschaft wird heute von vielen Seiten massgebend gefordert.
Schreiben an die Katholiken in den Ländern des nahen Ostens, 21. Dezember 2006
An die Leiden des anderen denken
Wir wissen wohl, dass der vom Heiligen Geist verheissene Trost nicht nur aus guten Worten besteht, sondern sich in eine Erweiterung von Herz und Sinn umsetzt, so dass man die eigene Lage im grösseren Rahmen der ganzen Schöpfung sehen kann, die in Erwartung des Offenbarwerdens der Söhne Gottes in Geburtswehen liegt (vgl. Röm 8,19-25). In dieser Hinsicht kann jeder so weit kommen, dass er mehr an die Leiden des andern als an die eigenen Leiden denkt, mehr an die gemeinsamen Leiden als an die privaten Leiden. Und er wird sich bemühen, etwas zu tun, damit der andere oder die anderen erkennen, dass ihre Leiden verstanden und angenommen sind und man diesen, so weit wie möglich, abhelfen möchte.
Schreiben an die Katholiken in den Ländern des Nahen Ostens, 21. Dezember 2006
Mitleiden
Es ist sicher immer problematisch, wenn einer, der über eine mehr oder weniger gute Gesundheit verfügt oder in guten Verhältnissen lebt, einen anderen trösten soll der von grossem Übel betroffen ist: sei es Krankheit, sei es Liebesverlust. Angesichts dieser Übel die wir alle kennen, erscheint alles fast unvermeidlich nur rhetorisch und pathetisch. Aber ich würde sagen: Wenn diese Menschen spüren können, das wir Mitleidende sind, dass wir mit ihnen das Kreuz in Gemeinschaft mit Christus tragen wollen, indem wir vor allem mit ihnen beten, ihnen auch mit einem von Sympathie, von Liebe erfüllten Schweigen beistehen, ihnen helfen, soweit es uns möglich ist, dann können wir glaubwürdig werden.
Wir müssen es akzeptieren, dass vielleicht in einem ersten Augenblick unsere Worte nur als blosse Worte erscheinen mögen. Wenn wir aber wirklich in diesem Geist der wahren Nachfolge Jesu leben, finden wir auch die Möglichkeit, anderen mit unserer Sympathie nahe zu sein. Sympathie heisst etymologisch Mit-leiden für den Menschen, indem man ihm hilft, mit ihm betet und auf diese Weise das Vertrauen erzeugt, dass auch im finstersten Tal die Güte des Herrn vorhanden ist. So können wir das Herz öffnen für das Evangelium Christi selbst, der der wahre Tröster ist; das Herz öffnen für den Heiligen Geist, der der andere Tröster, der andere Beistand genannt wird, der beisteht, der gegenwärtig ist.
Wir können das Herz nicht durch unsere Worte öffnen, sondern durch die grosse Lehre Christi, durch sein Bei-uns-Sein, und so helfen, dass das Leiden und der Schmerz tatsächlich zur Gnade des Reifens, der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn werden.
Besuch im Römischen Priesterseminar, 17. Februar 2007
Wie soll man gegenüber dem Leiden und den Leidenden handeln?
Ja, wie soll man handeln? Nun, mir scheint, wir müssen anerkennen, dass es richtig ist, alles nur Möglichen zu tun, um die Leiden der Menschheit zu besiegen und den leidenden Menschen – es gibt sehr viele auf der Welt – zu helfen, ein erträgliches Leben zu finden und von den Übeln befreit zu werden, die häufig wir selber verursachen : Hunger, Seuchen usw.
Aber gleichzeitig mit der Anerkennung dieser Pflicht, gegen die von uns selbst verursachten Leiden tätig zu werden, müssen wir auch erkennen und verstehen, dass das Leiden wesentlich zu unserem menschlichen Heranreifen gehört. Ich denke hier an das Gleichnis des Herrn vom Weizenkorn, das in die Erde gefallen ist und das nur dadurch, dass es stirbt, Frucht bringen kann, und dieses In-die-Erde-Fallen und Sterben ist nicht ein Augenblicksereignis, sondern eben der Verlauf eines ganzen Lebens.
Wie ein Weizenkorn in die Erde fallen und somit sterben, sich verwandeln, Werkzeug Gottes sein und so Frucht bringen. Der Herr sagt nicht zufällig zu seinen Jüngern: Der Menschensohn muss nach Jerusalem gehen, um zu leiden; wer mein Jünger sein will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Tatsächlich verhalten wir uns immer ein wenig wie Petrus, der zum Herrn sagt: Mein Herr, das darf nicht mit dir geschehen, du darfst nicht leiden. Wir wollen nicht das Kreuz tragen, wir wollen ein menschlicheres, schöneres Reich auf Erden schaffen.
Besuch im Römischen Priesterseminar, 17. Februar 2007
Der Wert des Leidens
Wir müssen im allgemeinen in unserer Generation, in unserer Kultur den Wert des Leidens wiederentdecken, müssen lernen, dass das Leiden eine sehr positive Wirklichkeit sein kann, die uns dabei hilft zu reifen, mehr zu uns selbst zu kommen, näher beim Herrn zu sein, der für uns gelitten hat und der mit uns leidet.
Begegnung mit dem Klerus der Diözesen Belluno-Feltre und Treviso in Auronzo di Cadore, 24. Juli 2007
Den Sinn des Leidens und des Schmerzes wiederentdecken
Wir können auch den Sinn des Leidens und des Schmerzes wiederentdecken. Gewiss gibt es einen Schmerz, den wir vermeiden und aus der Welt verbannen müssen; die vielen unnützen Schmerzen, die von Diktaturen hervorgerufen werden, von falschen Systemen, von Hass und Gewalt. Aber im Schmerz liegt auch ein tiefer Sinn, und nur wenn wir dem Schmerz und dem Leiden Sinn geben können, kann unser Leben zur Reife kommen. Vor allem würde ich sagen, dass die Liebe ohne den Schmerz nicht möglich ist, weil die Liebe stets einen Selbstverzicht voraussetzt, weil sie voraussetzt, dass ich mich von mir selbst löse und den anderen in seinem Anderssein annehme. Sie setzt voraus, dass ich mich hinschenke und daher aus mir selbst herauskomme. All das ist Schmerz, Leiden, aber gerade in diesem Leiden des Mich-Verlierens für den anderen, für den Geliebten und daher für Gott werde ich gross und findet mein Leben die Liebe und in der Liebe seinen Sinn. Auch die Untrennbarkeit der Liebe vom Schmerz, der Liebe von Gott sind Elemente, die in unser modernes Bewusstsein Eingang finden müssen, um uns im Leben zu helfen.
Begegnung mit dem Klerus der Diözesen Belluno-Feltre und Treviso in Auronzo di Cadore, 24. Juli 2007
Den Sinn im Leiden entdecken
Für die Christen ist es der Glaube an Christus, der die Krankheit und den Zustand der betagten Personen sowie alle anderen Ereignisse und Phasen des Daseins erhellt, durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus dem menschlichen Leiden einen transzendenten Wert und eine transzendente Bedeutung verliehen. Angesichts des Leidens und der Krankheit sind die Gläubigen eingeladen, die innere Gelassenheit nicht zu verlieren, denn nichts, auch nicht der Tod, kann uns von der Liebe Christi scheiden. In ihm und mit ihm ist es möglich, jede physische und geistliche Prüfung anzunehmen und zu bewältigen und gerade im Augenblick grösster Schwäche die Früchte der Erlösung zu spüren. Der auferstandene Herr offenbart sich denen, die an ihn glauben, als der Lebendige, der das Dasein verwandelt und auch der Krankheit und dem Tod einen heilbringenden Sinn gibt.
Ansprache an der Internationalen Konferenz des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, 17. November 2007
Auch das Leiden gehört zum Leben
Auch das Leiden gehört zur Wahrheit unseres Lebens. Wenn wir daher versuchen, die Kinder von jeder Schwierigkeit und Erfahrung des Schmerzes abzuschirmen, dann laufen wir Gefahr, trotz unserer guten Absichten schwache und wenig grossherzige Menschen heranwachsen zu lassen, denn die Fähigkeit zu lieben entspricht der Fähigkeit zu leiden - und gemeinsam zu leiden.
Schreiben an die Diözese und die Stadt Rom über die dringende Aufgabe der Erziehung, 21. Januar 2008
Das Evangelium des Leidens
Jesus hat diese Taufe des Leidens und der Liebe für uns, für die ganze Menschheitsfamilie empfangen. Er hat für die Wahrheit und die Gerechtigkeit gelitten, dem er das Evangelium des Leidens, das die andere Seite des Evangeliums der Liebe ist, in die Geschichte der Menschen hineingetragen hat. Gott kann nicht leiden, aber er kann und will mit-leiden. Aus dem Leiden Christi kann in jedes menschliche Leiden die "con-sola-tio" eintreten, "der Trost der mitleidenden Liebe Gottes und damit der Stern der Hoffnung (Spe salvi, 39).
Predigt bei Aschermittwochsliturgie, 6. Februar 2008
Aus Liebe leiden
Die Geschichte der Kirche ist im Bezug auf das Gebet und auf das Leiden reich an Zeugen, die sich für die anderen vorbehaltlos und unter harten Prüfungen hingegeben haben. Je grösser die Hoffnung, die uns beseelt, um so grösser ist in uns auch die Fähigkeit, aus Liebe zur Wahrheit und zum Guten zu leiden, indem die kleinen und grossen täglichen Mühen mit Freude dargebracht und in das grosse Mitleiden Christi hineingelegt werden (vgl. Spe salvi, 40).
Predigt bei Aschermittwochsliturgie, 6. Februar 2008
Alles tun um Leid zu mindern
Zur menschlichen Existenz gehört das Leiden ebenso wie das Tun. Es folgt zum einen aus unserer Endlichkeit, zum anderen aus der Masse der Schuld, die sich in der Geschichte angehäuft hat und auch in der Gegenwart unaufhaltsam wächst. Natürlich muss man alles tun, um Leid zu mindern: das Leid der Unschuldigen zu verhindern, so gut es geht: Schmerzen zu lindern; in seelischem Leid zur Überwindung zu helfen. All dies sind Pflichten sowohl der Gerechtigkeit wie der Liebe, die zu den Grundforderungen christlicher Existenz und eines jeden wahrhaft menschlichen Lebens gehören. Im Kampf gegen den physischen Schmerz sind grosse Fortschritte gelungen; das Leiden der Unschuldigen und auch die seelischen Leiden haben in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen. Ja, wir müssen alles tun, um Leid zu überwinden, aber ganz aus der Welt schaffen können wir es nicht - einfach deshalb nicht, weil wir unsere Endlichkeit nicht abschütteln können und weil niemand von uns imstande ist, die Macht des Bösen, der Schuld, aus der Welt zu schaffen, die immerfort - wir sehen es - Quell von Leiden ist. Das könnte nur Gott: Nur ein Gott, der selbst in die Geschichte eintritt, Mensch wird und in ihr leidet. Wir wissen, dass es diesen Gott gibt und dass daher die Macht in der Welt da ist, die die "Schuld der Welt hinwegnimmt" (Joh 1, 29). Mit dem Glauben, dass diese Macht besteht, ist Hoffnung auf die Heilung der Welt in der Geschichte hervorgetreten. Aber es ist eben Hoffnung und noch nicht Vollendung; Hoffnung, die uns den Mut gibt, uns auf die Seite des Guten zu stellen, auch wo es aussichtslos scheint, im Wissen, dass im äussern Gang der Geschichte die Macht der Schuld weiterhin furchtbare Gegenwart bleibt.
Spe salvi 36, 30. November 2007
Die Fähigkeit das Leiden anzunehmen
Leiden können wir versuchen zu begrenzen, zu bekämpfen, aber wir können es nicht aus der Welt schaffen. Gerade wo Menschen im Versuch der Leidvermeidung sich allem zu entziehen suchen, was Leid bedeuten könnte, sich die Mühsal und den Schmerz der Wahrheit, der Liebe, des Guten ersparen wollen, treiben sie in ein leeres Leben hinein, in dem es vielleicht kaum Schmerz, um so mehr aber das dumpfe Gefühl der Sinnlosigkeit und der Verlorenheit gibt. Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat.
Spe salvi 37, 30. November 2007
Leiden und Mit-Leiden
Das Mass der Humanität bestimmt sich ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden. Das gilt für den einzelnen wie für die Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die die Leidenden nicht annehmen und nicht im Mit-leiden helfen kann, Leid auch von innen zu teilen und zu tragen, ist eine grausamen und inhumane Gesellschaft. Aber die Gesellschaft kann die Leidenden nicht annehmen und sie nicht in ihrem Leiden tragen, wenn die einzelnen dies nicht können, und wiederum der einzelne kann das Leid des anderen nicht annehmen, wenn er nicht selbst im Leiden Sinn, einen Weg der Reinigung und der Reifung, einen Weg der Hoffnung zu finden vermag.
Spe salvi 38, 30. November 2007
Den Leidenden annehmen
Annehmen des anderen, der leidet, bedeutet, dass ich mir sein Leid selbst zueigne, dass es auch mein Leiden wird. Eben dadurch aber, dass es nun geteiltes Leid geworden ist, dass ein anderer in ihm da ist, dringt das Licht der Liebe in dieses Leiden ein. Das lateinische Wort con-solatio, Tröstung, drückt dies sehr schön aus, indem es die Vorstellung eines Mitseins in der Einsamkeit weckt, die dann keine Einsamkeit mehr ist.
Spe salvi 38, 30. November 2007
Das Leid um des Guten willen annehmen
Die Fähigkeit, das Leid um des Guten, um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen anzunehmen, ist konstitutiv für das Mass der Humanität, denn wenn letztlich mein Wohlbefinden, mein Unverletztbleiben wichtiger ist als die Wahrheit und als die Gerechtigkeit, dann gilt die Herrschaft des Stärkeren; dann dominiert die Gewalt und die Lüge. Die Wahrheit, die Gerechtigkeit muss über meiner Bequemlichkeit und meiner physischen Unversehrtheit stehen, sonst wird mein Leben selber zur Lüge.
Spe salvi 38, 30. November 2007
Liebe ist Quell von Leid
Und endlich ist auch das Ja zur Liebe Quell von Leid, denn Liebe verlangt immer wieder Selbstenteignungen, in denen ich mich beschneiden und verwunden lasse; sie kann gar nicht ohne dieses auch schmerzliche Aufgeben meiner selbst bestehen; sonst wird sie zu reinem Egoismus und hebt sich damit als Liebe selber auf.
Spe salvi 38, 30. November 2007
Leiden aus Liebe
Leiden mit dem anderen, für die anderen; leiden um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen; leiden aus Liebe und um ein wahrhaft Liebender zu werden - das sind grundlegende Elemente der Humanität, die abzustreifen den Menschen selbst zerstören würde.
Spe salvi 39, 30. November 2007
Das Mitleiden Gottes
Der Mensch ist Gott so viel wert, dass er selbst Mensch wurde, um mit dem Menschen mit-leiden zu können, ganz real in Fleisch und Blut, wie es uns in der Passionsgeschichte Jesu gezeigt wird. Von da aus ist in alles menschliche Leiden ein Mitleidender, Mittragender hineingetreten; in jedem Leiden ist von da aus die consolatio, der Trost der mitleidenden Liebe Gottes anwesend und damit der Stern der Hoffnung aufgegangen.
Spe salvi 39, 30. November 2007
Sterben: Beginn eines erneuerten Daseins
Wann immer ein Leben in vorgerücktem Alter oder aber am Beginn seiner irdischen Existenz oder aus unvorhergesehenen Gründen in der vollen Blüte der Jahre verlischt, darf man darin nicht lediglich eine versiegende biologische Erscheinung oder eine abgeschlossene Biographie sehen, sondern eine Neugeburt und ein erneuertes Dasein das vom Auferstandenen demjenigen geschenkt wird, der sich seiner Liebe nicht absichtlich widersetzt hat. Mit dem Tod endet die irdische Erfahrung, aber durch den Tod eröffnet sich auch für jeden von uns jenseits der Zeit das volle und endgültige Leben. Der Herr des Lebens ist an der Seite des Kranken als der zugegen, der lebt und das Leben schenkt und der gesagt hat: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10), "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt" (Joh 11,25) und "Ich werde ihn auferwecken am letzten Tag" (Joh 6,54). Alle in der christlichen Hoffnung unternommenen Anstrengungen, um uns selbst und die uns anvertraute Welt zu verbessern finden in jenem feierlichen und heiligen Augenblick, von der Gnade geläutert, ihren Sinn und gewinnen an Wert dank der Liebe Gottes, des Schöpfers und Vaters.
Ansprache an die Teilnehmer an dem von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalten Kongress, 25. Februar 2008
Rechte für Angehörige sterbender Menschen
Auch werden im Bereich des Arbeitsrechts den Familienangehörigen bei der Geburt eines Kindes normalerweise spezifische Rechte eingeräumt; analog sollten, besonders unter beistimmten Umständen, den engen Verwandten eines todkranken Angehörigen in seiner letzten Lebensphase ähnliche Rechte zugestanden werden. Eine solidarische und humane Gesellschaft kann nicht die schwierigen Umstände von Familien unberücksichtigt lassen, die manchmal über lange Zeit hinweg die Last der Betreuung von pflegebedürftigen Schwerkranken zu Hause tragen müssen. Eine grössere Achtung vor dem einzelnen menschlichen Leben geht unvermeidlich über die konkrete Solidarität aller und jedes einzelnen und stellt damit eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit dar.
Ansprache an die Teilnehmer an dem von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalten Kongress, 25. Februar 2008
Die Not alleinstehender, sterbender Menschen
In einer komplexen und stark von der Dynamik der Produktivität und den Bedürfnissen der Wirtschaft beeinflussten Gesellschaft laufen die schwachen Menschen und die ärmeren Familien in Momenten wirtschaftlicher Schwierigkeiten und/oder Krankheit Gefahr, überrannt zu werden. In den grossen Städten sehen sich alte und alleinstehende Menschen immer häufiger auch dann allein gelassen, wenn sie schwer krank sind und im Sterben liegen. In solchen Situationen verschärft sich für diese Menschen der auf Sterbehilfe ausgerichtete Druck, vor allem dann, wenn sich eine utilitaristische Auffassung vom Menschen einschleicht. In diesem Zusammenhang nutze ich die Gelegenheit, noch einmal gemäss der jahrhundertealten Lehre der Kirche die feste und bleibende ethische Verurteilung jeder Form von direkter Euthanasie zu bekräftigen.
Ansprache an die Teilnehmer an dem von der Päpstlichen Akademie für das Leben veranstalten Kongress, 25. Februar 2008
Das Leben so sehen wie Gott es tut
Manchmal ist es wirklich eine Herausforderung, einen Grund zu finden für etwas, das nur eine zu überwindende Schwierigkeit oder ein zu ertragender Schmerz zu sein scheint. Dennoch hilft uns unser Glaube, den Horizont jenseits von uns selbst zu öffnen, um das Leben so zu sehen, wie Gott es tut. Gottes bedingungslose Liebe, in die jeder einzelne Mensch hineingenommen ist, zeigt, dass alles menschliche Leben einen Sinn und Zweck besitzt. Durch sein Kreuz lässt Jesus uns in der Tat in seine heilbringende Liebe eintreten (vgl. Joh 12,32), und indem er das tut, weist er uns den Weg - den Weg der Hoffnung, die uns alle verklärt, damit auch wir für andere Träger dieser Hoffnung und Liebe werden.
Ansprache an die jungen Behinderten im Seminar "St. Joseph in Yonkers, New York, 19. April 2008
Das Antlitz Christi finden
In der modernen Welt, die häufig die körperliche Schönheit und Leistungsfähigkeit zu einem Ideal erhebt, das auf jede Weise verfolgt werden soll, sind wir als Christen dazu aufgerufen, das Antlitz Jesu Christi, des "Schönsten von allen Menschen" (Ps 45,3), gerade in den leidenden und ausgegrenzten Menschen zu finden. Zahlreich sind heute leider die moralischen und materiellen Notlagen, die uns Sorge bereiten.
Predigt bei Eucharistiefeier in Savona, 17. Mai 2008
Das Leiden bildet unsere Hoffnung
Die christliche Hoffnung lebt auch im Leiden, ja, dass gerade das Leiden unsere Hoffnung in besonderer Weise bildet und stärkt. "Natürlich muss man alles tun, um Leid zu mindern: das Leid der Unschuldigen zu verhindern, so gut es geht; Schmerzen zu lindern; in seelischem Leid zur Überwindung zu helfen" (Spe salvi, 36). Und es wurden besonders im Kampf gegen den physischen Schmerz grosse Fortschritte erzielt. Aber wir können das Leiden nicht ganz aus der Welt schaffen, denn es steht nicht in unserer Macht, seine Ursachen zu beseitigen, die Endlichkeit unseres Lebens und die Macht des Bösen und der Schuld.
Ansprache bei der Eröffnung des Pastoralkongresses der Diözese Rom, 9. Juni 2008
Im Leiden reif werden
Liebe Brüder und Schwestern, erziehen wir uns jeden Tag zur Hoffnung, die im Leiden reift. An erster Stelle sind wir berufen, es zu tun, wenn wir persönlich von einer schweren Krankheit oder einer anderen harten Prüfung betroffen sind. Aber wir werden auch in der Hoffnung wachsen durch die konkrete Hilfe und die tägliche Nähe zu dem Leiden unserer Nachbarn und Angehörigen, ja jeder Person, die unser Nächster ist, weil wir uns ihr in liebevoller Haltung nähern. Und weiter: Lernen wir, dem barmherzigen Gott die geringen Mühen des alltäglichen Lebens darzubringen, indem wir sie demütig in das grosse "Mit-Leiden" Jesu eingliedern, in jenen Schatz des Mitleids, dessen die Menschheit bedarf.
Ansprache bei der Eröffnung des Pastoralkongresses der Diözese Rom, 9. Juni 2008
Der Sinn des Leidens
In der Tat scheint es, dass das Leiden der Unschuldigen und auch die psychischen Probleme in der Welt leider zunehmen. In Wirklichkeit bestätigt die menschliche Erfahrung von heute und insbesondere die Erfahrung der Heiligen und der Märtyrer die grosse christliche Wahrheit, dass nicht die Flucht vor dem Leiden den Menschen heilt, sondern die Fähigkeit, die Schwierigkeiten anzunehmen und an ihnen zu reifen, indem man in ihnen durch die Vereinigung mit Christus einen Sinn findet. Von unserer Beziehung zum Leiden und zu den leidenden Personen wird deshalb das Mass unserer Menschlichkeit bestimmt, für jeden von uns wie für die Gesellschaft, in der wir leben. Dieses historische Verdienst kommt dem christlichen Glauben zu, weil er im Menschen in ganz neuer Weise und neuer Tiefe die Fähigkeit geweckt hat, auch innerlich das Leiden des anderen zu teilen, der dann in seinem Leiden nicht mehr allein ist, und auch aus Liebe zum Guten zur Wahrheit und Gerechtigkeit zu leiden: all dies übersteigt weit unsere Kräfte, aber es wird möglich - durch das Mit-Leiden Gottes aus Liebe zum Menschen in der Passion Christi.
Ansprache bei der Eröffnung des Pastoralkongresses der Diözese Rom, 9. Juni 2008
Echtes Leid annehmen fällt schwer
Es ist wahr, in echtem Leid fällt es immer schwer, sich wirklich mit dem Herrn zu verbinden und in dieser Bereitschaft zur Einheit mit dem leidenden Herrn zu bleiben. Lasst uns daher für alle Leidenden beten und alles in unserer Macht stehende tun, um ihnen zu helfen. Zeigen wir ihnen unser Dankbarkeit für ihr Leiden und stehen wir ihnen so weit wie möglich bei mit jenem grossen Respekt vor dem menschlichen Leen und gerade vor dem leiderfüllten Leben bis zum Ende.
Begegnung mit Priestern, Diakonen und Seminaristen aus Südtirol, 6. August 2008
Paulus ging dem Leiden nicht aus dem Weg
Er ging den Schwierigkeiten und Leiden nicht aus dem Weg, denn er war sich sehr wohl bewusst, dass sie zu dem Kreuz gehören, das wir als Christen tagtäglich zu tragen haben. Er verstand die Lage, in die der Ruf Christi den Jünger versetzt, bis ins Tiefste: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Mt 16,24). Daher legte er seinem geistliche Sohn und Jünger Timotheus ans Herz: "Leide mit mir für das Evangelium" (2Tim 1,8). Auf diese Weise wies er darauf hin, dass die Evangelisierung und ihr Erfolg über das Kreuz und das Leiden führen. Und diese Worte legt er einem jeden von uns ans Herz. Das Leiden vereint mit Christus und mit den Brüdern und bringt die Fülle der Liebe zum Ausdruck, deren Quelle und höchster Beweis das Kreuz Christi ist.
Ansprache an die neuernannten Bischöfe, 20. September 2008
Von den Christen wird mehr erwartet
Unsere menschliche Wirklichkeit ist für das Leben geschaffen und geht in Christus insgesamt auf Gott zu. In dieser Welt bleiben wir vom Leiden nicht verschont; den Christen ist nicht verheissen, dass sie nicht leiden werden. Dies ist nicht die Weise, wie wir erlöst sind. Im Gegenteil, Augustinus sagt, uns wird mehr zugemutet, weil Gott von uns mehr erwahrtet, einen tieferen und radikaleren Einsatz für die Geschichte, aber gerade so, indem wir Tieferes wagen und Leid auf uns nehmen, erfahren wir die Grösse des Lebens, seine Schönheit und seine Freude. In allem, was wir tun und erleiden, trägt uns die Hoffnung, dass das Leben Christi in uns wirkt und dass wir an seiner Fülle Anteil erhalten werden. Wie Paulus sagt: "sind wir mit Christus gestorben, so glauben wir auch, dass wir mit ihm leben" (Röm 6,8).
Generalaudienz, 5. November 2008
Marias Nähe im Leiden
In dem Lächeln des hervorragendsten aller Geschöpfe, das sich uns zugewandt hat, spiegelt sich unsere Würde als Kinder Gottes wider, jene Würde, die auch ein Kranker niemals verliert. Dieses Lächeln, ein wahrer Widerschein der Zärtlichkeit Gottes, ist die Quelle einer unbesiegbaren Hoffnung. Wir wissen leider: Lang ertragenes Leiden zerbricht auch das bestgesicherte Gleichgewicht eines Lebens, erschüttert die festesten Grundlagen des Vertrauens und lässt einen sogar manchmal am Sinn und Wert des Lebens zweifeln. Es gibt Kämpfe, die der Mensch allein, ohne Hilfe der göttlichen Gnade, nicht bestehen kann. Wenn das Reden nicht mehr die richtigen Worte zu finden vermag, zeigt sich die Notwendigkeit einer liebenden Anwesenheit: Wir suchen dann nicht nur die Nähe derjenigen, die mit uns verwandt oder uns durch Freundschaft verbunden sind, sondern auch die Nähe jener, die uns durch das Band des Glaubens vertraut sind. Wer könnte uns näher und vertrauter sein als Christus und seine heilige Mutter, die unbefleckt Empfangene? Sie sind mehr als jeder andere dazu fähig uns zu verstehen und die Härte des Kampfes gegen das Übel und das Leiden zu begreifen.
Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Kranken in Lourdes, 15. September 2008
Leiden als Bestandteil unserer Berufung
Christus schenkt sein Heil durch die Sakramente und den Menschen, die an Krankheiten oder unter einer Behinderung leiden, schenkt er es ganz besonders durch die Gnade der Krankensalbung. Das Leiden ist für jeden immer etwas Fremdes. Sein Vorhandensein lässt sich niemals bezähmen. Es fällt daher schwer, das Leiden zu ertragen, und noch schwerer ist es, das Leiden – wie es manche grosse Zeugen der Heiligkeit Christi getan haben – als Bestandteil unserer Berufung anzunehmen, so wie Bernadette es ausdrückte: „alles schweigend leiden, um Jesus zu gefallen“. Um das sagen zu können, muss man schon einen langen Weg gemeinsam mit Jesus zurückgelegt haben. Dagegen ist es möglich, sich schon jetzt der Barmherzigkeit Gottes zu überlassen, die in der Gnade des Krankensakraments sichtbar wird.
Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Kranken in Lourdes, 15. September 2008
Das Christentum ist kein bequemer Weg
Die Theologie des Kreuzes ist keine Theorie – sie ist die Wirklichkeit des christlichen Lebens. Im Glauben an Jesus Christus zu leben, die Wahrheit und die Liebe zu leben, schliesst täglich Verzicht und Leid ein. Das Christentum ist kein bequemer Weg, es ist vielmehr ein anstrengender, ein zu erklimmender steiler Weg, freilich erleuchtet vom Licht Christi und von der grossen Hoffnung, die von ihm ausgeht. Der hl. Augustinus sagt: den Christen wird das Leiden nicht erspart, ja es trifft sie noch etwas mehr, denn den Glauben zu leben, ist Ausdruck des Mutes, sich dem Leben und der Geschichte mit grösserer Tiefe zu stellen, doch nur so, durch die Erfahrung des Leids, erkennen wir das Leben in seiner Tiefe, in seiner Schönheit, in der grossen Hoffnung, die der gekreuzigte und auferstandene Christus weckt.
Generalaudienz, 5. November 2008